Der Harmonische Oszillator

Der (eindimensionale) harmonische Oszillator wird beschrieben durch die allgemeine lineare DGL 2. Ordnung mit konstanten Koeffizienten, notiert als my''+ay'+by=0 Umwandeln in ein System von 2 DGLs der Ordnung 1 erfordert umstellen nach y'' . Da die DGL von der Ordnung 2 sein soll, muss m\neq0 sein, es darf also durch m geteilt werden. Dann ist

y''+2\delta y' +\omega^2y=0

Die Bezeichnungen für die Koeffizienten stammen aus der Physik. Der y'-Term ist ein Dämpfungsterm, die Konstante \omega eine Frequenz. Dass diese als Quadrat auftaucht und der Dämpfungsterm mit 2 multipliziert wird, hat rechnerische Vorteile.

Umschreiben in ein DGL-System mit y_1=y, y_2=y' und y''=-\omega^2y-2\delta y' liefert \pmb{y}' = \begin{pmatrix} y_1\\ y_2\end{pmatrix}' = \begin{pmatrix} y_2\\ -\omega^2y_1-2\delta y_2\end{pmatrix} = \begin{pmatrix} 0 & 1\\ -\omega^2 & -2\delta\end{pmatrix} \begin{pmatrix} y_1\\ \\ y_2\end{pmatrix} = D\pmb{y} Die Eigenwerte von D sind gegeben durch die Nullstellen des charakteristischen Polynoms P_D(\lambda) von D. P_D(\lambda)= \begin{vmatrix} -\lambda & 1\\ -\omega^2 & -2\delta-\lambda \end{vmatrix} = \lambda^2+2\delta\lambda+\omega^2=0 Vor der Lösung dieser einfachen quadratischen Gleichung noch ein paar allgemeine Gedanken zu Polynomen 2. Grades und den möglichen Ausgängen. In Abhängigkeit von den Werten für \delta und \omega^2 gibt es drei Fälle, die für die Eigenwerte eintreten können. Entweder es gibt zwei verschiedene reelle Eigenwerte. Oder es gibt einen Eigenwert der algebraischen Vielfachheit 2 (was dann schief gehen kann, steht hier). Oder es gibt zwei komplexe Eigenwerte, die komplex konjugiert zueinander sind. Für Polynome mit reellen Koeffizienten gilt nämlich, dass für jede komplexe Nullstelle z auch die komplex konjugierte Zahl \overline{z} eine Nullstelle ist. Daher kann es für solche Polynome zweiten Grades nicht vorkommen, dass eine Nullstelle reell und die zweite Nullstelle komplex ist.

Zurück zum eigentlichen Problem:

Für die Eigenwerte \lambda_{1,2} der DGL y''+2\delta y' +\omega^2y=0 gilt \lambda_{1,2}=-\delta\pm\sqrt{\delta^2-\omega^2}

Die drei oben geschilderten Fälle sind nun äquivalent zu den drei Fällen, die wegen des Wurzelterms unterschieden werden müssen.

1. Fall: \delta^2>\omega^2
Dies ist der Fall zweier verschiedener reeller Nullstellen. Die allgemeine Lösung ist \begin{eqnarray*} y(x)&=& c_1e^{(-\delta+\sqrt{\delta^2-\omega^2})x} +c_2e^{(-\delta-\sqrt{\delta^2-\omega^2})x}\\ &=& e^{-\delta x} (c_1e^{\sqrt{\delta^2-\omega^2} x} +c_2e^{-\sqrt{\delta^2-\omega^2} x}) \end{eqnarray*} Da \sqrt{\delta^2-\omega^2}<\delta, geht die Lösung exponentiell schnell gegen Null. Daher heißt dieser Fall Kriechfall.
2. Fall: \delta^2=\omega^2
Dies ist der Fall der doppelten Nullstelle, der sogenannte aperiodische Grenzfall. Das soll in Hausaufgabe 2 genauer untersucht werden.
3. Fall: \delta^2<\omega^2
Dies ist der Fall des Paares komplex konjugierter Nullstellen \lambda_{1,2}=-\delta\pm i\sqrt{\omega^2-\delta^2} . Mit \omega_d=\sqrt{\omega^2-\delta^2} schreibt sich die allgemeine Lösung \begin{eqnarray*} y(x)&=& c_1e^{(-\delta+i\omega_d)x} +c_2e^{(-\delta-i\omega_d)x}\\ &=& e^{-\delta x} (c_1e^{i\omega_d x} +c_2e^{-i\omega_d x}) \end{eqnarray*} Doch Achtung! Diese Lösung ist komplex-wertig, die DGL jedoch, wie alle ihre Lösungen reell-wertig. Um die Lösung als Linearkombination reeller Partikulärlösungen zu schreiben, werden die Real- und Imaginärteile der komplexen Partikulärlösungen y_\pm=e^{(-\delta\pm i\omega_d)x} betrachtet. Es gilt \begin{eqnarray*} \mathfrak{Re}(y_+) &=& e^{-\delta x}\mathfrak{Re}(e^{i\omega_d x}) = e^{-\delta x}\cos(\omega_d x)\\ \mathfrak{Im}(y_+) &=& e^{-\delta x}\sin(\omega_d x)\\ && \\ \mathfrak{Re}(y_-) &=& e^{-\delta x}\mathfrak{Re}(e^{-i\omega_d x}) = e^{-\delta x}\cos(-\omega_d x) = \mathfrak{Re}(y_+) \\ \mathfrak{Im}(y_-) &=& e^{-\delta x}\sin(-\omega_d x) = -\mathfrak{Im}(y_+) \end{eqnarray*} Die Real- und Imaginärteile der komplexen Lösungen sind nicht nur nicht linear unabhängig, sondern sogar, bis auf Vorzeichen gleich. Dass sie die DGL ebenfalls lösen sei freiwillige Hausaufgabe. Da Sinus und Cosinus linear unabhängig sind, ist die allgemeine Lösung also y(x)=e^{-\delta x}(c_1\cos(\omega_dx)+c_2\sin(\omega_dx))